…ist der Schnee geschmolzen und ich denke so vor mich hin…..
Gleich als ich aufwache, bemerke ich, dass es weniger kalt ist als die letzten Tag. Dann donnert ein größeres Gefährt die Straße entlang, das lässt doch hoffen, dass sie befahrbar sind. Es ist noch stockdunkel, doch die Hoffnung keimt, dass es Gelegenheit gibt, sich heute mal unter Menschen zu begeben.
Obwohl alles, was Begegnungen betrifft, massiv eingeschränkt ist oder ganz verboten, so will ich das in Anspruch nehmen, was noch möglich ist. Morgen schon könnte es damit wieder vorbei sein und eine nächste Ausgangssperre anstehen.
Große Unsicherheit herrscht in allen Bereichen. Wie es die kleinen Bar- und Restaurantbesitzer machen, bleibt mir ein Rätsel. Letzten Sommer verdienten sie gut, denn es gab so viele Touristen wie noch nie in dieser Gegend. Die Franzosen vermieden Auslandsaufenthalte und erkundeten ihr eigenes Land, dafür sah ich kaum Touristen aus England, Deutschland und Holland, selbst aus Spanien waren nur wenige da. Doch vielleicht verschaffte ihnen der letzte Sommer ein kleines finanzielles Polster und die Hoffnung, alles werde wieder wie früher. Es sei ihnen gegönnt, allein, mir fehlt der Glaube daran.
Alles, was Spaß macht und das Leben lebenswert, ist verboten oder zumindest stark eingeschränkt. Wohl dem, der fünf Kinder zu Hause hat, so dass diese miteinander spielen können. Doch wie geht es den vielen Einzelkindern, die ihre Freunde nicht sehen dürfen? Es scheint absurd, einem Kind zu verbieten mit seinen Freunden zu spielen. Was geschieht mit einem solchen Kind, das früh lernt, dass der andere eine Gefahr für ihn bedeutet? Muss es nicht sein Vertrauen und seine Bindungsfähigkeit verlieren? Wird es nicht für sein ganzes späteres Leben traumatisiert? Ebenso absurd ist die nächtliche Ausgangssperre. Als ob das Virus verstärkt in der Dunkelheit lauert.
Wie ergeht es den Alten in den Heimen, die von Wochenende zu Wochenende leben, weil sie auf den Besuch ihrer Kinder hoffen, wenn diese Besuche ausbleiben? Und wer kümmert sich um sie, wenn Pflegepersonal in Quarantäne geschickt wird, weil jemand positiv getestet wurde? Herrscht nicht sowieso schon ein Pflegenotstand? Menschen können vor Einsamkeit sterben, Menschen können ihren Lebenswillen verlieren und all ihre Widerstandskraft einbüßen, wenn sie depressiv werden.
Dabei haben wir es noch gut. Was machen all die Tagelöhner auf der Welt, denen keiner ihren Verdienstausfall ersetzt? Was machen die Romafamilien in Rumänien, deren Väter jetzt kein Geld nach Hause bringen und denen es vorher schon schlecht ging? Und die armen Inder, die mittellosen Afrikaner, die von der Hand in den Mund leben?
Was wird, wenn die gesamte Tourismusbranche am Boden liegt, Sport- und Kulturzentren pleite gegangen sind, Hotels schließen mussten, aber auch Friseure, Klamottenläden und der kleine Schreiner an der Ecke? Um wie viel % werden sich die Arbeitslosenzahlen erhöhen, wie viele werden sich aus Verzweiflung umbringen? Und wie lange noch wird Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gezahlt werden? Wenn große Teile der Bevölkerung nicht mehr arbeiten dürfen, woher werden dann die Mittel kommen, um die Menschen zu ernähren?
Es ist traurig um jeden, der vorzeitig aus dem Leben geht, gleich warum. Gibt es wohl jemanden, der an oder mit an Corona Gestorbenen zählt und denen gegenüber stellt, die sich aus Verzweiflung das Leben nehmen und denen, die aus Hoffnungslosigkeit sterben, weil sie emotional und menschlich der Maßnahmen wegen vernachlässigt werden? Ich bin nicht der Meinung, dass ein Leid gegen ein anderes aufgerechnet werden darf, jedoch sollte so etwas wie Verhältnismäßigkeit eingehalten werden.
Obwohl es Menschen gibt, die sich gegen die Maßnahmen wehren, obwohl Anwälte durchaus erfolgreich streiten und das in weiten Teilen der Welt, denke ich, wird die einmal eingeschlagene Richtung beibehalten.
Am Ende kann froh sein, wer einen Garten bearbeiten kann. Das sichert ihm Beschäftigung, eine gewisse Ernährungsgrundlage und vielleicht einige Tauschmittel, Zwiebeln gegen etwas Öl, Kartoffeln gegen Seife. Handwerk hat goldenen Boden, wusste man seit alten Zeiten. Können und Wissen bilden eine weitere Grundlage. Doch große Teile der Bevölkerung kennen nicht mehr die essbaren Pflanzen der Natur, sie wissen nicht, wie ein Seifenersatz aus Asche hergestellt werden kann und sie können auch keine Strümpfe mehr stricken.
Doch, dieses Wissen ist noch nicht völlig verloren gegangen. Ich glaube an die unerschöpfliche Kreativität des Menschen, an sein Organisationstalent und den Willen, sich wieder zusammen zu finden, um gemeinsam alle Schwierigkeiten zu überwinden. Jedoch sehe ich auch schwere Zeiten auf uns zukommen, auch wenn ich hoffe, es wird milde verlaufen…
https://www.berliner-zeitung.de/news/berliner-feuerwehr-zahl-der-einsaetze-wegen-moeglichem-suiziden-steigt-massiv-an-li.117723
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